Marc Kayser
GESPRÄCH MIT GOTTFRIED HELNWEIN
Köln, Domcafe, Dezember, 2005
Das Interview war ürsprünglich für die Weltwoche
(Schweiz) geplant, wurde aber dann nicht veröffentlicht
Sie haben erwähnt, dass Sie ein ganz bestimmtes Naturgefühl haben. Sie haben gesagt, dass Sie sich jeden Morgen im Garten mit der Natur unterhalten. Was besprechen Sie denn dort mit ihr?
Helnwein: Ich werde wahrscheinlich alt und sonderlich, aber es ist mir plötzlich
ein Hochgenuss, mich mit Bäumen, Büschen, Elstern, und Kühen
zu unterhalten. Ausserdem kann man hier in Irland auch Elfen und Leprechauns
treffen, wenn man sich anständig benimmt.
Wie muss man sich so eine Frage vorstellen? „Wie geht’s dir
Baum?“
Helnwein: Ich muss einen Baum nur ansehen, dann weiss ich, ob es ihm gut geht
oder nicht. Ich glaube, dass jedes Lebewesen, sei es ein Mensch, ein Tier oder
eine Pflanze auf Bewunderung reagiert. Das machen ja viele Leute, einfache Hausfrauen,
Naturphilosophen - alle mögliche Spinner reden mit Pflanzen und sind der
Meinung, dass sie dann besser gedeihen. Und wie Sie ja vielleicht wissen geben
Kühe mehr Milch, wenn man ihnen Mozart Musik vorspielt.
Nun brauchen Sie beispielsweise die Bäume in Ihrem Garten ja nicht,
um besser malen zu können, um inspiriert zu sein, oder doch?
Helnwein: Meine Arbeit wird in erster Linie durch den Verfall der menschlichen
Gesellschaft, inspiriert der Dekadenz des urbanen Lebens, dem sogenannten Untergang
des Abendlandes. Das ist mein Thema. Deswegen ist Los Angeles, für mich
auch der ideale Ort für mein Arbeit. Die Stadt ist wie eine offene Wunde,
Ich habe den Eindruck, dass man hier den augenblicklichen, tatsächlichen
Zustand der westlichen Welt klarer sehen als sonst irgendwo. Aus irgendeinem
Grund versucht hier gar niemand dieses Chaos zu regulieren oder irgendetwas
an der Situation zu kaschieren. 142 verschiedene ethnische Gruppen sind hier
vertreten, es gibt riesige mexikanische Stadtviertel wo nur Spanisch gesprochen
wird, es gibt Armenische, Koreanische, Persische Viertel und Gegenden in denen
nur Chassidische Juden leben, die am Shabbat mit riesigen Pelzhüten und
Kaftanen mit Ihren Kindern unter Palmen spazieren gehen und genauso aussehen
wie Ihre gallizischen Vorfahren am Beginn des 19ten Jahrhunderts.
Es gibt durch Schlagbäume und Privatarmeen gesicherte Villenviertel der
Reichen, und Nobelbezirke in denen man all die erstaunlichen Kreationen und
Wunder plastischer Chirurgie bewundern kann. In Downtown, ein paar Häuserblocks
von meinem Atelier entfernt gibt es ganze Strassenzüge mit tausenden, meist
schwarzen, Obdachlosen, die entweder apathisch auf den Bürgersteigen kauern
oder verwirrt, schreiend und wild gestikulerend durch die Strassen irrlichtern.
Und ein Stück weiter ist dann South Central, wo es Strassenzüge gibt,
die so gefährlich sind, dass nicht einmal die Polizei da hinfährt,
wo zum Teil Kinder mit einer Magnum im Hosenbund den Drogenhandel kontrollieren.
Und in der selben Stadt befindet sich seit einem Jahrhundert das Zentrum der
Traum- und Illusions-Industrie der Welt: Hollywood.
Los Angeles ist der theme park: „Apokalypse now“.
Und um auf die Frage zurück zukommen, Natur und Bäume sind nicht das,
was mich in erster Linie zu m einer Kunst inspiriert, leider. Ich habe mir oft
gewünscht ich wäre ein Künstler des frühen 19. Jahrhunderts
und könnte so arbeiten wie Caspar David Friedrich.
Sie zeigen in Ihren Bildern sozusagen den Verfall, aber Sie geben keinen
Ausweg. In vielen Bildern ist alles mies und schlecht und von etwas heraus geboren,
aber am Ende gibt der Künstler Helnwein einen strahlenden Ausblick, weil
er davon ausgeht, dass sich doch alles zum Guten wenden wird. Den Eindruck kann
man bekommen, wenn man damit umgeht.
Helnwein: Meine Bilder sind oft wie ein eingefrorener Augenblick irgendeines
Dramas, das nicht sichtbar ist und dessen Ausgang offen ist. Es ist am Betrachter
diesen Moment, den das Bild darstellt und den Rest der Geschichte zu deuten.
Und durch die Reaktionen meines Publikums habe ich den Eindruck dass in meinen
Arbeiten etwas mittransportiert wird, das zur Hoffnung verleitet. Anfangs war
ich mir gar nicht sicher ob meine Bilder hier in Amerika in der Welt der elektronischen
special effects, und der ununterbrochenen Konsum-Propaganda noch eine Funktion
haben, oder überhaupt wahrgenommen werden würden. Letztes Jahr hatte
ich eine Ausstellung im San Francisco Fine Arts Museum mit dem Titel „The
Child“, die von ca 130 000 Menschen gesehen wurde. Die Reaktion der Leute
war überwältigend und hat mich vollkommen überrascht. Ich hab
noch nie so bewegende und emotionale Reaktionen auf meine Arbeit erlebt. Manchmal
haben mich Besucher spontan umarmt, andere hatten Tränen in den Augen und
immer wieder haben sich Leute bei mir bedankt und mir gesagt; “Sie wissen
wahrscheinlich gar nicht, wie wichtig es ist, dass Sie diese Arbeiten gerade
jetzt hier zeigen“.
Warum inspiriert Sie nicht ein Ihnen bekannter guter Mensch? Was ist an
Guten so langweilig?
Helnwein: Warum hat Goya sich in seiner Kunst so für die Gräuel
des Krieges interessiert? Warum hat er den Saturn gemalt, wie er gerade seine
Kinder frisst? Warum sind das die Bilder die sich bei uns so eingeprägt
haben? Oder die Kreuzigung Grünewalds, die Ermordung Marats, die Hölle
des Hironimus Bosch, das Inferno des Dante Alligheri. Warum hat sich Shakespeare
immer für den Wahnsinn interessiert, für die Machtgier, für das
Abgründige? Nietzsche meint, dass erst Kunst der Absurditaet der Menschlichen
Existenz einen Sinn verlleiht.
Was meinen Sie denn, warum das so ist?
Helnwein: Ich glaube, dass die Kunst verschiedene Aufgaben und Funktionen hat.
Eine davon ist zweifellos das Leben durch Ästhetik reichhaltiger und schöner
zu machen. Eine andere Aufgabe für den Künstler war es aber auch immer,
Chronist oder Zeuge seiner Zeit zu sein, jemand der versucht all das festzuhalten,
was die Gesellschaft verdrängt, weil es zu ungeheuerlich und im Moment
des Geschehens nicht fassbar ist.
Einer der stellvertretend für die Menschheit versucht dem Grauen entgegenzutreten,
in der Überzeugung, dass Ästhetik alles sublimieren und transformieren
oder vielleicht sogar auflösen kann.
Hieronymus Bosch ist da ein gutes Beispiel. Seine Darstellung einer Schattenwelt
die von grauenhaften Dämonen, und wahnsinnigen, fratzenhaften Wesen beherrscht
wird, die aussehen wie die Ergebnisse misglückter Genetischer Experimente,
mit brennenden Städte und Schrecklichen Kreaturen, die sich ständig
gegenseitig zerschneiden, aufspiessen, zerstückeln und in qualvoller Extase
winden. Und trotzdem wird den Leuten nicht schlecht, wenn sie diese Bilder betrachten,
sondern sie werden im Gegenteil in der Regel inspiriert, bereichert, und angeregt.
Warum wird Macbeth nach Jahrhunderten immer noch gespielt und in allen Schulen verbreitet?
Was fasziniert uns an dem größenwahnsinnigen Irren und seiner bösartigen
Lady, die ihn zu immer größeren Horrortaten antreibt. Warum sehen
wir uns mit Genuss an, wie sie die Macduff-Familie mit Kind und Kegel umbringen...das
ist ja eigentlich nichts Erfreuliches.
Ich glaube, dass der Künstler die Welt, mit all ihrem ihrem Schrecken,
durch ästhetische Mittel verwandeln und in als verkleinertes Modell auf
eine Bühne stellen kann, damit die Menschen den alltäglichen Totentanz
einmal von aussen betrachten können und vielleicht sogar sich selbst in
der jeweiligen Rolle zu erkennen, die sie in diesem Spektakel spielen.
Aber ist das nicht sehr dekorativ, sehr plakativ?
Helnwein: Das kommt darauf an. Das hängt eben von der Qualität des
Künstlers ab. Viele Christliche Kirchen sind zum Beispiel voll mit dem
Zeug. Es sind im Grunde immer die selben Geschichten die da erzählt werden.
Vieles ist oberflächlich- modisch, oder vordergründig billige Propagandamalerei
dem sozialistischen Realismus Stalins oder Maos nicht unähnlich. Aber es
gibt da auch die grössten visuellen Meisterwerke in der Geschichte der
Menschheit: die Decke der Sixtinische Kapelle, der Grünewald Altar, Goyas
Fresken in San Antonio de la Florida, oder Leonardos letztes Abendmahl.
Sind Sie mit katholischen Dekorationen und katholischer Kultur aufgewachsen?
Helnwein: Das Wien meiner Kindheit war ein finsterer und trauriger Ort, viele
Häuser waren durch die Bombenangriffe zerstört und lagen in Trümmern,
die Erwachsenen erschienen mir gehetzt, grantig und hässlich. In der Kleinbürgerlichen
Welt in der ich lebte gab es damals keine Kinos, kein Theater, keine Bücher
keine Form von Kunst.
Meine erste Begegnung mit Kunst fand in grossen kalten Kirchen statt- die Dartellungen
von gefolterten, gegeisselten und durchbohrten Körpern, Christus und andere
Heilige blutüberströmt – Sankt Sebastian mit Pfeilen gespickt,
Sankt Stefan gesteinigt, die Heilige Katharina gerädert usw.. , Herzen,
aus denen Flammen züngeln, umrankt mit Dornenkronen oder von kleinen Schwertern
durchbohrt, Heilige Leichenteile und Wundmale,etc..
Dazu gewaltige Orgelmusik, seltsame Riten und Zerimonien, Weihrauch, lateinische
Litaneien und monotones Murmeln, es war ein bedrohliches aber auch faszinierendes
und prägendes Erlebnis meiner frühen Kindheit. Etwas später habe
ich dann eine ganz andere, positive und lebensbejahende Gegenkultur kennengelern:
Carl Barksens Entenhausen und Elvis, was mein inneres Gleichgewicht wiederherstellte.
Man hat bei Ihnen immer so das Gefühl, dass Sie sozusagen das, was
für viele existent ist, sehen, sei es Katholizismus, Protestantismus usw.
aber dass Sie sich immer eine Bühne schaffen, die dafür taugt, das
was jeder macht, eben nicht zu machen und trotzdem Sich dabei des Irdischen
zu bemächtigen. Das heißt, die Comicfiguren von Disney, die Bilder
von James Dean, David Bowie oder Mick Jagger, das sind ja auch alles nicht Ihre
Erfindungen. Und trotzdem haben Sie diese Erfindungen genutzt, weil sie ja auch
Projektionsflächen für etwas sind, die aber mit dem wahren Leben nichts
zu tun haben. Wer weiß schon, wie Mick Jagger ist? Wer weiß schon
wie Marilyn Manson hinter seiner Maske ist? Wer weiß wie Donald Duck am
Ende denkt? Das finde ich interessant, und deshalb würde mich interessieren,
warum Sie sich an diesen Figuren, und der darin enthaltenen Symbolik bemächtigen,
um dann damit etwas zu machen?
Helnwein: Genau das ist das Prinzip der Kunst. Im Grunde haben Künstler
immer die gleichen Geschichten, Mythen Methaphern und Alleghorien verwendet.
-die Anbetung der Könige, die Kreuzigung, der Kindesmord von Bethlehem,
Christi Himmelfahrt oder aus der griechischen Mythologie: Leda und der Schwan,
Amor und Psyche etc..Es gab ja nur einen begrenzten Katalog von Standardthemen,
und trotzdem kam immer was völlig anderes raus.
Sie bemächtigen sich ja Figuren, denen wir im Zweifel immer etwas
zudichten. Comicfiguren spielen für uns im Guten wie im Schlechten eine
Rolle. Die Künstler, an die wir höchstens bei einem Konzert herankommen,
die wir aber als Mensch überhaupt nicht begreifen, da sie mit uns keinen
tagtäglichen Umgang haben, benutzen Sie ja stellvertretend für irgendetwas.
Was ist das? Was ist dieses Unfassbare an diesen Künstlern?
Helnwein: Ich interpretiere meine Sachen nie, und ich schlage auch nie irgendwelche
Interpretationen vor, im Gegenteil. Ich habe durch die spontanen Reaktionen
von Leuten unglaublich viel über meine eigenen Arbeiten gelernt. Für
mich ist die Kunst ein Dialog, oder wie Duchamp sagte: ein zweipoliges Produkt
wobei der eine Pol der Künstler ist, und der andere das Publikum. Und
zwischen diesen Polen entsteht so etwas wie Elektrizitat.
Es könnte ja auch ein Trick sein, dass Sie sagen, ich nehme mir jetzt
die ganz prominente Mickey Mouse, den ganz prominenten Donald Duck.
Helnwein: Das zentrale Thema meiner Arbeiten sind vor allem Kinder, meistens
kleine Mädchen, sie sind die Helden meiner Geschichten.An ihnen kann ich
am besten ausdrücken was ich zur menschlichen Existenz sagen will, weil
der Mensch in dieser Phase besonders verwundbar, verletzbar ist.
Sie haben gesagt, Sie wären gerne Revolutionsführer geworden.
Warum Revolutionsführer?
Helnwein: Eigentlich von Kindheit an. Das waren meine Tagträume in der
Schule, ich saß immer da und kam mir so fremd und isoliert vor, so völlig
ohne Bezug zu dem ganzen Geschehen. Ich dachte immer ich bin im falschen Film,-
da gehöre ich gar nicht hin. Dann hab ich mir immer ausgemalt, wie ich
eine Revolution im ganzen Land starten, und wie die Schule brennen würde.
Damals wusste ich noch nichts von Che Guevara oder so, das war wirklich eine
eine kindliche Phantasie ohne Realitätsanspruch. Maler wollte ich auf jeden
Fall nie werden, die Vorstellung mit einer Baskenmütze und Rauschebart
vor einer Staffelei zu stehen und abstrakte Ölbilder zu malen schien eine
wahrlich grauenhafte Existenz zu sein.
Sie wurden aber dann offensichtlich von etwas gedrängt, denn Revolutionsführer
heißt ja, dass man auf Leben oder Tod, Gedeih und Verderb irgendetwas
ändern möchte. Man ist zumindestens nicht so wie die anderen.
Helnwein: Ich glaube nicht, dass Revolutionen wirklich das bringen, was der
idealistische Revolutionär anstrebt. Selbst wenn eine Revolution stattfindet,
tauscht man meistens einen schlechten Zustand gegen einen noch schlechteren
danach. Revolutionen erzeugen vor allem eines: Chaos und Zerstörung. Ich
glaube, dass es eher ein langwieriger Lernprozess, ein evolutionärer Prozess
sein muss, durch den Verbesserungen und Veränderungen zustande kommen.
Ich glaube an den Dialog, -an das Prinzip der Aufklärung, an Logik und
Vernunft in einer Welt des Absurden, des Fanatismus des Aberglaubens, der idiotischen
Vorurteile, der Korruption und der totalen Unvernunft. Der Versuch der Aufklärung
ist wahrscheinlich eines der kühnsten und mühsamsten Wagnisse das
die Menschheit je eingegangen ist, und das wahrscheinlich viele Generationen
und Jahrhunderte dauern wird und von dem wir nicht einmal wissen, ob es je gelingen
wird.
Sind Sie denn ein Aufgeklärter?
Helnwein: Wer kann das schon von sich behaupten. Ich habe einfach immer Probleme
gehabt, mich in irgendwelche Glaubenssysteme pressen zu lassen und Autoritäten
zu akzeptieren, die mir vorschreiben wollen, was ich denken und tun soll. Ich
weiss, dass Menschen in der Regel Glaubenssysteme brauchen, um existieren und
sich orientieren zu können, und wahrscheinlich sind sie notwendig um moralisch
ethische Masstäbe zu vermitteln. Aber ich habe immer ein Problem mit Autoritäten
gehabt, ich brauche niemanden der für mich vordenkt, ich will mich selbst
umsehen und meine eigenen Entscheidungen treffen.
Es fällt mir schwer irgendwelche Denkweisen und Werte zu übernehmen
nur weil „alle“ gerade begeistert daran glauben. Ich kann mich in
meiner Jugend an der Akademie daran erinnern, dass plötzlich alle wie im
Rausch waren, vom Traum einer neomarxistischen Revolution erfasst, die endgültig
mit all den Missständen der alten korrupten, bürgerlichen Gesellschaft
aufräumen sollte. Das wurde von früh bis spät diskutiert.
Waren Sie auch unter diesen Diskutanten?
Helnwein: Ich habe es versucht, denn nach einer Revolution war mir ja eigentlich
immer zumute. Und als das plötzlich aufbrach, dachte ich, jetzt kommt das,
wovon ich eigentlich seit meiner Kindheit träume, wir zerstören endlich
die Gefängnismauern dieser Speiesserwelt – Aber dann sah ich mit
Entsetzen dass die Welt dieser Pseudorevoluzzer intoleranter, spiessiger und
enger war, als die meiner Eltern. Diese aufgescheuchten, kindischen Wichtigtuer
die in unzähligen Splittergruppen mit rührend-peinlichen Namen wie:
Trotzkisten, Leninisten, Maoisten, Spartakisten, etc aufgeteilt waren und sich
erbitterte Flügelkämpfe lieferten um die ausgebeutete Arbeiterklasse
auf die richtige Art zu befreien, wobei jeder jedem vorwarf ein bourgeoiser
Verräter zu sein.
Es hat ja damals auf der Akademie kaum noch jemand gemalt, es ist nur mehr diskutiert
worden. Ich fand das alles so langweilig, weil alle nur das Zeug nachgebetet
haben, das sie gelesen, aber nicht verdaut hatten. Aber schliesslich bekam ich
dann doch meine eigene Revolution. Der Auslöser war die Forderung der Studenten
nach einer Drittelparität bei wichtigen Entscheidungen, also Professoren,
Assistenten und Studenten. Und der Einzige, der sich dafür in der Diskussion
für die Studenten eingesetzt hat, war unser Professor Hausner. Wahrscheinlich
hätte er sich gerne als Speerspitze dieser jungen linken Bewegung gesehen.
Es war sehr theatralisch. Auf jeden Fall hat er sich als einziger für die
Forderung der Studenten eingesetzt, und wurde daraufhin auf kernig wienerische
Art von den anderen Professoren mit: „Geh scheissn Hausner“ niedergeschrieen.
Die Studenten waren alle empört und haben natürlich wieder lange
marxistisch-maoistische Grundsatz-Diskussionen geführt, Ich dachte jedoch:
das Mass ist voll. Jetzt oder nie. Aber als ich mich umsah, merkte ich aber,
dass ich allein sein würde mit meiner Revolution. Und da hab ich mir ein
Häufchen von anarchistischen Freunden zusammengesucht, allesamt verwandte
Seelen, die den Ernst der Situation sofort verstanden, und ohne viel zu fragen,
mit dabei waren. In den nächsten Tagen fand dann das alljährliche
demütigende Ritual der Aufnahmeprüfung statt, wo hunderte nervöse
Aspiranten in Firmungsanzügen mit grossen unförmigen Mappen und elenden
Zeichnungen vor einem kleinen Kämmerchen Schlange stehen mussten, um da
auf Tauglichkeit und Begabung überprüft zu werden. Da saßen
dreizehn Professoren, die dann mit gichtigen Fingern in den Schülerzeichnungen
wühlten, und in der Regel augenzwinkernd: „Warum wollen Sie Maler
denn werden, -lernen Sie lieber was anständiges!“ sagten.
Wir haben dann in tagelanger mühsamer Kleinarbeit eine grossartige Inszenierung
für diesen Tag vorbereitet: Nachschlüssel besorgt, Rauch -und Farbbomben
an strategischen Stellen deponiert, Feuerlöscher präpariert, Fluchtwege
vorbereitet. Es ist uns jedenfalls, dank unserer gründlichen Vorbereitung,
gelungen, die ganze Akademie in ein einziges Inferno zu verwandeln. Alles war
so von Rauch und dem weissen Pulver der Feuerlöscher erfüllt, dass
man die Hand vor dem Gesicht nicht sehen konnte. Farb- und Stinkbomben explodierten,
die grossen Fensterflügel des neoklassizistischen Gebäudes wurden
auf Kommando in den Innenhof geworfen, wo sie mit schrecklichem Getöse
barsten. Die Professoren wurden in ihrem Kämmerchen eingesperrt, gerieten
in Panik und hämmerten verzweifelt an die Türe. Um die Sache abzurunden
hatten wir noch einen kleinen mobilen Panik-Chor der Zeter und Mordio-schreiend
ununterbrochen durch die Gänge lief.
Als das ganze Gebäude abgeriegelt war, und die Hundertschaft der Polizei
eintraf, hatten wir uns längst über einen vorbereiteten Fluchtweg
von der Mensa abgeseilt. Die Zeitungen waren voll mit Berichten über den
„Studentenaufstand an der Kunstakademie“ und das Fernsehen berichtete
darüber in den Abendnachrichten. Obwohl nicht nur die Professoren sondern
auch die Studenten von unserem Spektakel vollig überrascht waren, und nicht
die geringste Ahnung von den wahren Übeltätern hatten, gaben alle
vollmundige und tiefschüfende Erklärungen ab – sebsternannte
Studentenführer wurden interviewt, von einem radikalen linken Flügel
war da die Rede, den man wegen der Unhaltbarkeit der Zustände nicht länger
habe zurückhalten können usw. Es war ein wunderbares Lehrstück
darüber, wie akkurat Berichterstattung der Massenmedien sind.
Die Aufnahmeprüfung haben Sie aber damit nicht verhindert.
Helnwein: Darum ging es ja nicht wirklich. Als Revolutionär denkt man in
der Regel nicht langfristig und logisch. Man gibt den angestauten Emotionen
freie Hand, das Kommando für einen Tag, und hofft dass danach alles besser
ist.
Für ihre Kunst, oder für Ihre Haltung zu philosophischen Themen
werden Sie ja immer wieder gescholten. Sie nehmen ja sozusagen bewusst in Kauf
ein Outlaw zu sein.
Helnwein: Ich glaube dass Künstler immer Aussenseiter sind, weil jede Form
von Kreativität eine Provokation für die bürgerliche Gesellschaft
darstellt. Das ist eigentlich immer so gewesen. Bei meiner ersten Ausstellung
im Wiener Künstlerhaus habe ich meine Aquarelle von verwundeten Kindern
ausgestellt. Und als ich nach einigen Tagen in die Ausstellung kam, waren alle
meine Bilder mit kleinen Stickern beklebt auf denen „entartete Kunst“
stand.
Was war das für eine Ausstellung?
Helnwein: Das waren einigen Akademiestudenten, die unter dem Gruppennamen“Zötus“
im Künstlerhaus 1971 ihre Arbeiten ausstellten, und ich war einer davon.
Damals habe ich das erstemal gemerkt, dass ich immer Gegenwind haben würde,
was immer ich auch mache. Später sind einige meiner Ausstellungen abgebrochen
worden, Bilder wurden zerstört, es gab gelegentlich Bombendrohungen und
Strafanzeigen z.B.wegen Pornografie, und hin und wieder gab es Zensur und Ausstellungsverbote.
Mitlerweile kann ich mir mein Leben gar nicht mehr anders vorstellen und im
Grunde hat mir das alles sehr geholfen, unhabhängig zu bleiben und meinen
eigenen Weg zu gehen. Mehrmals wurden mir Professuren angeboten, die ich immer
abgelehnt habe. Wenn mich die ganze etablierte Gesellschaft plötzlich umarmen
würde, - Ich glaube, der Schock würde mich umhauen.
Wenn Sie dieser Außenseiter sind, und der ja auch sein wollen, dann
stellt sich die Frage, warum man so tickt wie man tickt oder warum man sich
besser fühlen könnte, es aber nicht Tut? Dieses Außenseitertum
könnte aber auch die ganz große Ressourcen für einen selber
sein, mit dem Leben so gut klar zu kommen, und dass man sich nicht darum schert,
welche Werkzeuge andere dafür benutzen.
Helnwein: Ich glaube, als Künstler sollte man die Möglichkeiten
und das Instrumentarium verwenden, das man hat. Als Musiker sollte man Musik
machen, als Maler sollte man malen usw. Ich glaube, dass es ratsam ist für
Künstler, sich nicht instrumentalisieren zu lassen, wenn’s um ideologische
oder religiöse Konflikte geht, weil es meistens auf einem Niveau der völligen
Verdammung und Lobpreisung ausgetragen wird, wo alles Wesentliche verloren geht.
Ich glaube als Künstler sollte man auf seinem Territorium bleiben und mit
ästhetischen Mitteln argumentieren. Für mich ist Kunst auch eine Möglichkeit,
mich zu wehren, zurückzuschlagen.
Reden Sie jetzt als Künstler oder als Privatmann?
Helnwein: Das ist nicht wirklich ein Gegensatz bei mir, weil ich als Privatmann
ja auch Künstler bin. Ich bin ja nichts anderes. Ich glaube nicht, dass
man als Künstler Propagandist für irgendwas sein sollte. Picasso verdanken
wir die Guernica - sie und seine anderen Arbeiten haben ihn unsterblich gemacht.
Sein Engagement für den Kommunismus ist dagegen von marginaler Bedeutung,
Picasso wäre ein ebenso bedeutender Künstler gewesen, wenn er ein
tiefglaubiger Katholik gewesen wäre, wie Böll. Von Goethe stammt der
Spruch: „Maler, halt’s Maul und male!“ Und in den letzten
Jahren habe ich mehr und mehr verstanden, was er damit meint. Mich interessiert
das von einer anderen Art und Weise her, weil ich der Meinung bin, dass man
gerade von einem Künstler, einem Createur, eine Antwort bekommen kann,
dass man für sich selber immer auf der Suche ist nach dieser Erleuchtung
für irgendetwas.
Ich würde so ein Gespräch, was Sie im Speziellen als Künstler
und Außenseiter zu dem macht, was Sie sind und das wiederum das liefert,
was wir sozusagen als Parasiten alle empfangen dürfen ohne je einen Pinselstrich
geführt zu haben ...
Helnwein: Eher als Symbionten. Für mich ist das Publikum wesentlicher Bestandteil
meiner kunstlerischen Existenz.
Machen Sie diese vielen Stationen deshalb durch, weil Sie immer stets mit
sich selbst unzufrieden sind? Oder sind Sie immer auf der Suche nach einer neueren
Stufe der Erkenntnis?
Helnwein: Existieren heißt für mich suchen und lernen, was das Gleiche
ist in dem Fall. Neben meiner künstlerischen Arbeit beschäftige mich
sehr mit Geschichte, Politik, Kunstgeschichte, Literatur, Philosophie- und vergleichender
Religionsgeschichte. Ich denke dass man die politischen und gesellschaftlichen
Ereignisse der Gegenwart nur dann verstehn kann, wenn man die Vergangenheit
kennt. Im Grunde wiederholt sich in jeder Gesellschaft immer wieder die gleiche
Tragödie nur in unterschiedlichem Gewande, und wenn man die eigene Geschichte
nicht kennt ist man dazu verdammt alles immmer wieder neu durchleben zu müssen.
Leider geht das Geschichtsbewusstsein heute mehr und mehr verloren, in Amerika
ist Geschichte als Unterrichtsfach praktisch veschwunden.
Gottfried Benn hat mal gesagt, dass jedes Genie ein Problem hatte.
Helnwein: Nicht unbedingt. Da gibt es andere Beispiele, wie Leonardo.
Aber Leonardo war schwul, das war sein Problem.
Helnwein: In der Renaissancezeit war das kein Problem, Leonardo wurde von allen
Zeitgenossen, egal ob Politikern oder anderen Künstlern, als Universalgenie
gesehen und respektiert. Er war außerhalb jeder Diskussion. Und sein Schwulsein
war etwas, was in keinster Weise Anlass zur Kritik war. In gewissen Sinne war
er androgyn. Im Zentrum seines „letzten Abendmahles“ sitzt Jesus
im Zentrum und zu seiner Rechten eine Weibliche Gestalt die als Maria Magdalena
interpretiert wurde, was möglicherweise die Vorchristliche Vorstellung
von einer Gottheit symbolisiert, die sowohl männlich als auch weiblich
ist. Berühmt haben ihn seine Frauen-, und nicht seine Männerdarstellungen
gemacht. Die Frauen in seinem Werk „Anna Selbdritt“ sind von unirdischer,
atemberaubender Schönheit. Und „Mona Lisa“ zum Beispiel ist
ja auch eine Androgyne Gestalt. Ich glaube nicht, dass sie die Darstellung einer
bestimmten Person ist, sondern eher eine Allegorie der weiblichen Spiritualität
darstellt.
Erkennen Sie denn an sich selbst auch Probleme, sozusagen das typische
„Helnwein-Problem“, ausgenommen von diesen Kinder-Unterdrückungsgefühlen?
Helnwein: Das Helnwein-Problem als Künstler wie auch als ein Mensch ist
es, was beide Existenzen verbindet. Es ist die Identifikation mit dem Kindsein.
Es ist fast wie eine archetypische mythologische Grundproblemstellung, die ich
mir gar nicht aussuchen kann.
Es könnte auch eine post-natale Störung sein?
Helnwein: Ich glaube einfach, dass die Sehnsucht nach Reinheit und Unschuld
etwas Uraltes ist. Unschuld, leider ein missbrauchtes und kitschiges Wort mittlerweile,
ist ja etwas, das in allen Mythologien immer wieder eine Rolle spielt und oft
durch die Gestalt des Kindes symbolisiert ist.
Sie sind aber hoffentlich nicht missbraucht worden als Kind?
Helnwein: Nein, ich selbst bin nicht missbraucht worden, aber mich hat die Vorstellung
von Gewalt gegen Schwächere, insbesonders gegen Kinder immer verfolgt.
Ich habe mich schon sehr früh mit der Nazizeit beschäftigt, später
mit dem Terror in Vietnam, und dann besonders mit dem Missbrauch und der Misshandlung
von Kindern. Ich habe hunderte Polizeifotos gesehen, und diese Bilder konnte
ich nie vergessen. Und das war auch der Grund warum ich zu malen begonnen habe:
kleine Aquarelle mit bandagierten und verwundeten Kindern. Es war ein Versuch
mich mit ästhetischen Mitteln mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Man hat Sie gedeutet, und man ist immer zu einem Schluss gekommen. In
Bezug auf Ihre Arbeit kamen Deutungen in Richtungen, die waren ja teilweise
hanebüchen.
Helnwein: Ich bin auch immer wieder erstaunt, wieviele Horrorgeschichten, Sagen,
Mythen und Legenden schon zu meinen Lebzeiten um mich gesponnen werden. Und
alle haben eines gemeinsam, (das schliesst übrigens einen grossen Teil
der Presse mitein) dass sie reine Fiktion sind, und weder mit mir noch mit meinem
Leben auch nur den geringsten zu tun haben. Eigentlich ist es irgendwie anrührend,
dass meine schlichte Existenz und die paar Bilder die ich gemalt habe, für
soviel Aufregung sorgen können, und so abenteuerliche Phantsien auszulösen
imstande sind.
Wenn Sie getrieben sind nach immer mehr, gibt es da ein Gefühl des
Erreichbaren, was Sie erreicht haben?
Helnwein: Ich habe eigentlich nie das Gefühl wirklich etwas erreicht zu
haben, ich denke immer, ich habe noch alles vor mir.
Also je mehr Sie erreichen, desto weniger haben Sie das Gefühl, etwas erreicht
zu haben?
Helnwein: Ich glaube es ist eine Bewegung in eine bestimmte Richtung . Und diese
Dynamik sich weiter zu bewegen ist vielleicht das Geheimnis der Existenz. Das
Prinzip des Lebens ist wohl ein dynamisches Prinzip. Takuan, ein Zen-Meister
des 13ten Jahrhunderts hat gesagt: Der Geist muss immer in Bewegung sein, der
einzige Fehler, den er machen kann ist, irgendwo stille zu stehen, innezuhalten
oder sich irgenwo festzuhalten.
Sind Sie auch innerhalb ihrer Familie der Einzelgänger?
Helnwein: Nein, -Wahrscheinlich ist das einzige was mir in meinem Leben einigermassen
gelungen ist, meine chaotisch -Italenisch- Barocke Familie mit meiner wunderbaren
Frau und all den Kindern, Hunden, Katzen und Enkelkindern. Obwohl meine Kinder
mittlerweile alle erwachsen sind, leben wir immer noch zusammen, wie ein kleiner
Zigeunerstamm der immer zwischen Irland und den USA hin und herzieht.
Alle sind Künstler geworden, meine Tochter Mercedes ist eine geniale Schriststellerin
und Malerin, mein Sohn Cyril ist ein sehr begabter Fotograf und mein Assistent,
Ali ist Komponist und spielt Violine im Kalifornischen Jugend-Symphonie-Orchester
und Amadeus, der Jüngste ist ein grosser Denker und Poet, der gerade bei
den Christian Brothers in Tipperary sein Abitur sein mit Auszeichnung abschliesst.
Gibt es irgendwelche Bezüge zur Schweiz?
Helnwein: Ich werde in Amerika meistens als deutscher Künstler, weniger
oft als österreichischer, und manchmal auch als schweizer Künstler
bezeichnet. Richtig ist, dass ich in Zürich ein Büro habe, über
das ich kontaktiert werden kann – eine zweisprachige schweizer website
habe ich übrigens auch.
Manche Schweizer werden sich noch an das Jeanmaire-Plakat erinnern, das ich
vor langer Zeit für Urs Widmers Theaterstück „Jeanmaire –
ein Stück Schweiz“ gemalt habe. Das hat damals für ein bisschen
Hektik gesorgt, - Sogar der Bundesrat in Bern hat sich des Themas angenommen
und sich Sorgen um mich gemacht, die Schweizer Illustrierte brachte eine Cover-story
dazu, und der Fernsehpfarrer hat mir sein „Wort zum Sonntag“ gewidmet,
um mir gehörig den Kopf zu waschen.
Was mir übrigens tatsächlich an der Schweiz imponiert ist, dass sie
wohl das einzige Land ist, das eine wirklich demokratische Verfassung hat. Die
Vorstellung, dass das Volk sogar die Armee abschaffen könnte, wenn es nur
wollte ist, ist so einmalig in der ganzen Menschheitsgeschichte, dass einem
ganz schwindelig werden könnte bei dem Gedanken.
(www.helnwein.ch und www.gottfried-helnwein.ch)