7. März 2006
News
Wien
Heinz Sichrovsky
Interview
WIR LEBEN IN DER ENDZEIT
Gottfried Helnwein. Der österreichische Kunst-Weltstar, der in Irland und
in L.A. lebt, zeigt in Linz seine bildnerische Lebensbilanz: "Face it"
- Schockierendes von den siebziger Jahren bis heute.
"Das Erschreckende an der gegenwärtigen Kunstszene ist, dass sie komplett
von den Ereignissen in der Welt losgelöst ist. Wenn man sich die gefeierten
Künstler heute ansieht, so betreiben die meisten Nabelschau. Sie persiflieren
andere Kunstwerke, der Insider-Gag dominiert. Wir leben in einer Endzeit, in
der alles zusammenbricht, aber die Kunst reagiert nicht, - sie ist autistisch
und isoliert. Das halte ich für katastrophal."
NEWS: Wie sind Sie mit der alten Heimat Österreich verblieben?
Helnwein: Ich bin 1984 von Österreich weggegangen, aber mittlerweile komme
ich eigentlich ganz gerne zurück. Wenn ich Heimweh habe, dann vor allem
nach der Sprache. Wienerisch ist eine der kreativsten Sprachen der Welt, vergleichbar
nur mit dem Slang der Schwaren in Amerika. Und der Manfred Deix geht mir auch
ab.
NEWS: Sie werden ihn uns doch nicht nach Irland verschleppen!
Helnwein: Nein, der gehört nach Österreich. Für ihn gibt es keinen
besseren Platz, er sitzt unter den Österreichern wie der Dagobert in seinem
Geldspeicher. Bei mir ist es umgekehrt: Ich muß sehr weit weg sein, um
Österreich schätzen zu können. Ich habe mich hier immer fremd
gefühlt, obwohl meine Kunst total durch die österreichische Tradition
geprägt ist. Ich führe mit meiner Familie eine Art Zigeunerdasein,
wir wandern immer weiter. Jetzt sind wir allerdings schon seit acht Jahren in
Irland, in Tipperary, und es sieht ganz so aus, als hätten wir da eine
Art Heimat gefunden. Ich habe mittlerweile neben der österreichischen auch
die irische Staatsbürgerschaft ...
NEWS: Was ja auch steuerlich nicht schlecht ist.
Helnwein: Ja, in den siebziger Jahren hat die Regierung des damals armen Landes
begriffen, dass Irland die größten Autoren hervorgebracht hat, dass
aber alle weggezogen sind, weil die Umstände so schlecht waren. Deshalb
wohnen Künstler jetzt steuerfrei in Irland. Mein zweiter Wohnsitz ist L.
A. Downtown, im art district, dort bin ich noch länger. Es war mir aber
immer unvorstellbar, Amerikaner zu werden. Ich bin einfach zu europäisch.
NEWS: Aus Österreich und dann Deutschland wurden Sie ja mit Untergriffen
vertrieben.
Helnwein: Ja, man hat mich attackiert, meine Arbeiten überklebt und beschlagnahmt,
kaum, dass ich in Österreich meine ersten Ausstellungen hatte. Eine von
Kurt Falk veranstaltete Ausstellung im Pressehaus wurde nach drei Tagen abgehängt,
und meine Installation vor dem Museum Ludwig in Köln von Unbekannten mit
Messern zerschnitten.
L.A. hingegen ist für mich der beste Platz an dem ich je gearbeitet habe,
die am meisten unterschätzte Stadt. 140 ethnische Gruppen von den chassidischen
Juden bis zu den Black Moslems leben in hier in relativ friedlicher Anarchie
nebeneinander. L. A. ist nicht regierbar, es gibt nicht einmal ein Zentrum.
NEWS: In einem Bundesstaat, in dem Schwarzenegger einen Delinquenten nach dem
anderen umbringen läßt? Kennen Sie ihn?
Helnwein: Ja, er hat mich erst vor kurzem völlig überraschend in meinem
Atelier besucht. Die ganze Straße wurde abgesperrt, überall Bodyguards
und Polizei. Ich hatte die Nacht durchgearbeitet war von oben bis unten voll
Farbe. Ich bin ein absoluter Gegner der Todesstrafe, aber man muss in Amerika
leben, um Amerika zu verstehen. Das ist eine grausame und gnadenlose Gesellschaft.
Kein Politiker, nicht einmal Clinton, konnte sich je erfolgreich gegen die Todesstrafe
stellen.
Arnold ist eine interessante Mischung: in einigen Bereichen ist er sehr konservativ,
in anderen für amerikanische Verhältnisse sehr liberaler und links,
wahrscheinlich nicht zuletzt durch den Einfluss seiner Frau.
NEWS: Wie stehen Sie zu den aktuellen Restitutions-Causen?
Helnwein: Die Demütigungen, die man Frau Altmann von offizieller Seite
hat widerfahren lassen, sind jetzt sehr teuer geworden. Österreich hat
am längsten versucht, die Vergangenheit auszusitzen. Kriegsverbrecher sind
hier davongekommen, als hätten sie Kavaliersdelikte begangen. Der SS-Mann
Friedrich Peter wäre fast Vizekanzler geworden. Erst seit dem Fall Waldheim
war man gezwungen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen.
NEWS: Den Fall Peter hat Simon Wiesenthal thematisiert. Hatten sie Kontakt zu
ihm?
Helnwein: Ich kannte ihn sehr lang. Ich hatte zur 50. Wiederkehr der Reichskristallnacht
im Kölner Dom für das Museum Ludwig eine Installation gemacht. Er
schrieb einen Text dazu. Seither waren wir immer im Kontakt. Meine Arbeiten
zum Holocaust wurden 2003 im Wiesenthal-Center L. A. ausgestellt. Der zugehörige
Film wurde sogar für den Oscar eingereicht und kam unter 500 Short Documentaries
an die siebente Stelle. Ich habe den Wiesenthal sehr gern gehabt. Er hatte einen
guten Humor und war eine erstaunliche Persönlichkeit. Ich war sehr bedrückt,
als er gestorben ist.
NEWS: Nun stehen wir vor der verwirrenden Situation, dass nicht mehr in erster
Linie die Neonazis, sondern moslemische Gruppen den Antisemitismus weiterführen.
In Teheran gibt es einen Wettbewerb für Holocaust-Karikaturen.
Helnwein: Es herrscht große Verwirrung. Die dänischen Karikaturen,
die den Kampf ausgelöst haben, kommen ja alle von rechts, von Ausländerfeinden.
Die Rechten missbrauchen den Begriff der Meinungsfreiheit. Deshalb ist die Reaktion
Teherans gar nicht so unintelligent, so zuwider mir dieses Regime sonst ist.
Die sagte nämlich: Wir demonstrieren dem Westen, dass er genauso viele
Tabus hat wie wir. Der Holocaust ist unser Verbrechen, das Verbrechen Deutschlands
und Österreichs. Der Islam hat damit wirklich nichts zu tun. Sollen die
Moslems wegen unserer Schweinereien keine Karikaturen von Juden machen dürfen?
Weshalb sollen sie unsere Tabus respektieren, wenn wir die ihren nicht respektieren?
Übrigens habe ich kürzlich in Israel, wo ich an der Ausstattung für
den „Rosenkavalier“ arbeite, in einer Tageszeitung einen Wettbewerb
für die bösartigste antisemitische Karikatur gefunden. Das Argument
war: Die Christen haben den Moslems eins übergebraten, und die ziehen dafür
uns eins über – nicht gerade fair, aber jetzt unterlaufen wir die
Debatte, und wir zeigen denen, wenn's um Antisemitismus geht, sind wir immer
noch die Experten. Humor ist also auch eine Möglichkeit sich zu wehren.
Aber sicher ist, dass wir in eine Zeit der Intoleranz und des Radikalismus treiben.
Das wird natürlich geschürt ...
NEWS: Von wem?
Helnwein: Von jenen, denen zum Beispiel die Destabilisierung des Irak nützt,
weil sie dann für immer das Land besetzen und das Öl abschöpfen
können.
NEWS: Das heißt, Sie stimmen Norman Finkelstein zu, der in NEWS sagte,
der eigentlich verrückte Fanatiker sei Bush?
Helnwein: Ich habe in den USA mein Atelier und muss wieder zurück. Aber
ich fürchte mich vor der aktuellen Regierung, auf die alle wie die Kaninchen
auf die Schlange starren, mehr als vor allen islamischen Fanatikern. In Amerika
kann seit Bush dank dem "patriot act" jeder auf Geheiß des Präsidenten
verhaftet werden, und zwar ohne Angabe von Gründen, ohne Anwalt, auf unbegrenzte
Zeit und er kann an einem geheimen Ort festgehalten werde, ohne dass die Familie
verständigt werden müsste. Auch Geheimprozesse sind erlaubt, und die
Kommunikation wird lückenlos überwacht. Und das Schlimmste ist: Die
Bevölkerung hat keine Ahnung davon oder begrüßt das sogar.
NEWS: Hat sich die Existenz des Künstlers in dieser Zeit verändert?
Helnwein: Ja. Das Erschreckende an der gegenwärtigen Kunstszene ist, dass
sie komplett von den Ereignissen in der Welt losgelöst ist. Wenn man sich
die gefeierten Künstler heute ansieht, so betreiben die meisten Nabelschau.
Sie persiflieren andere Kunstwerke, der Insider-Gag dominiert. Wir leben in
einer Endzeit, in der alles zusammenbricht, aber die Kunst reagiert nicht, -
sie ist autistisch und isoliert. Das halte ich für katastrophal.