April 2006
NEWS Interview mit Gottfried Helnwein

by Evie Sullivan


NEWS: Hält Bambi 2 einen Vergleich zum Original-Bambi aus?

GOTTFRIED HELNWEIN: Es hält den Vergleich nicht aus. Bambi 1 stammt aus der Hochzeit der Disney Kreation und ist ein geniales Kunstwerk. Ein Film, bei dem man jede Einstellung einfrieren kann und dabei jedesmal ein Bild erhält, das von der Idee, Farbigkeit und Komposition her so ist, dass man es ins Museum hängen könnte.

Bambi 2 war überflüssig, denn der Film brauchte keine Fortsetzung. Er ist aus rein kommerziellen Gründen produziert worden und man spürt in ihm die Kälte des Disney-Konzerns, der sich seit langem damit beschäftigt das Erbe von Walt Disney zu beschädigen. Die Disney-Familie ist ja schon seit einiger Zeit auf Distanz zu dem Konzern gegangen, und unter Michael Eisner ist der Konflikt offen ausgebrochen. Roy, der Neffe Walts hatte schliesslich Eisner den Krieg erklärt.

Es ist aber vor allem Diane Disney-Miller, die Tochter Walt Disneys, die sich für das künstlerische Erbe ihres Vaters einsetzt. Sie hat die phantastische Frank Ghery Disney-Concert Hall in Los Angeles gebaut, um Walt ein Denkmal zu setzen, der ein grosser Verehrer der Musik war. Er hat ja mit vielen Künstlern und Komponisten zusammengearbeitet, unter anderem mit Sergei Prokofiev, Salvador Dalí, und Aldous Huxley. Derzeit arbeitet Diane an der Errichtung eines Walt Disney-Heritage Museums in San Francisco, das vor allem den Multimedia-Künstler und Visionär Disney zeigen soll, weitab vom Kommerz und Kitsch der Industrie die seinen Namen trägt.

NEWS: Würden Sie sagen, Bambi 2 fehlt die Seele?

GOTTFRIED HELNWEIN: Ja. Ihm fehlt der Geist, die Tiefe und künstlerische Qualität des Originals.

NEWS: Hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass dabei so viel am Computer gearbeitet wurde?

GOTTFRIED HELNWEIN: Der Computer ist nur ein Werkzeug. Ich bin der Meinung, dass er ein Medium ist wie jedes andere auch - digitale Technologie ist im Prinzip genau so geeignet zur Herstellung von Kunst wie Pinsel und Ölfarben, entscheident ist nur wer sie benützt, - und wie.
Ich glaube, die Seelenlosigkeit liegt an der Zeit. Wir leben in einem materialistischen Zeitalter, das vom Kommerz und Profitdenken geprägt ist. Der idealismus und die Naivität der frühen Jahre haben in der Entertainmentindustrie von heute keinen Platz mehr.

Die Herren dieser Unterhaltungsfabriken wollen nichts mehr dem künstlerischen Zufall überlassen, und da nur mehr der finanzielle Gewinn zählt, muss alles sehr schnell gehen. Wir erleben heute den allgemeinen Niedergang einer originären Kunst und Kultur. Man muss nur an die Musik der Sechzigerjahren denken. – Die Beatles, Stones, Jimmy Hendrix, Bob Dylan, Captain Beefheart, die Beach Boys und so weiter – heute haben wir vor allem kühl kalkulierte Mainstream-Scheisse. Es ist einfach vorbei.

NEWS: Gibt es eine Mythologie von Bambi?

GOTTFRIED HELNWEIN: Im ersten Bambi-Film gibt es eine Mythologie, im zweiten nicht. Der ist verkrampft. Wie in jeder guten Geschichte geht es im Original um den Überlebenskampf und der wird dort in einer neuen, eigenartig anrührenden Ästhetik erzählt, mit einer seltsamen, reduzierten Farbigkeit und erstaunlichen Bildfindungen.

Damals mussten für jede Sekunde Film 24 Bilder gezeichnet werden. Jede Figur wurde von einem eigenen Team von Zeichnern entwickelt, andere waren für die einzelnen Phasen des Bewegungsablaufes zuständig, wieder andere für die Hintergrundgemälde. Disney hat die Film-und Animationstechnik revolutioniert, - unter anderem hat er das sog. "Storyboard" erfunden.

NEWS: Was verdanken wir Walt Disney noch alles?

GOTTFRIED HELNWEIN: Disney und Picasso sind für mich die beiden grossen Visionäre des 20ten Jahrhunderts. Kein anderer Künstler hat auf die die (visuelle) Kunst und Kultur unseres Jahrhunderts einen so tiefgreifenden Einfluss gehabt wie diese beiden Antipoden, die auf völlig unterschiedliche Art unser ästhetisches Empfinden grundlegend verändert haben.

Man kann das Ausmass dieser kulturellen Revolution nur mit dem Einfluss Michelangelos und Leonardo DaVincis auf ihre Zeit vergleichen.
Disney hat übrigens das Künstlerische Werkstattprinzip der Renaissance zu einer neuen Hochform gebracht und das Konzept der Art-Factory entwickelt, lange bevor Warhol geboren war. Er hat so viele ästhetische Pionierleistungen vollbracht, dass man sie in der Kürze gar nicht aufzählen kann. Carl Barks hat mir erzählt, dass Disney in den Zeiten der grossen Arbeitslosigkeit der Dreißigerjahre unzählige Talente von der Strasse geholt hat, ihnen grosse Studios zur Verfügung gestellt, sie ausgebildet und gut bezahlt hat.

Als er feststellte, dass die klassischen technischen Grundlagen der bildenden Künste kaum mehr existierte, hat er eine eigene Kunst-Schule, - quasi eine Schule des Sehens, gegründet, die später das California Institute of the Arts (CalArts) wurde, das heute noch besteht. Er hat seine Leute gezwungen, wie in der Renaissance, die Natur zu genau zu studieren, Bewegungsabläufe von Menschen und Tieren zu analysieren, das Fallen von Blättern, von Tropfen oder Schneeflocken, akribisch zu registrieren. Tausende Stunden von genauester Beobachtung gingen den Filmen voran.

Durch die präziesen Naturstudien ist er außerdem noch auf ein völlig neues Genre gestoßen: den Naturfilm. Kein Mensch hatte damals gedacht, dass so ein Film ohne Handlung und Dialoge erfolgreich sein könnten. Filme wie „Die Wüste lebt“ oder „Wunder der Prärie,“ waren auch bahnbrechend für technische Errungenschaften. Neue Kameras, neue Filmtechniken. Daneben hat er noch Installationen realisiert, gegen die Christos Werke Miniaturen sind.

Er war ein aussergewöhnlicher inspirator, Organisator und Manager. Und er hat sein Gesamtkunstwerk in einer unglaublich kurzen Zeitspanne realisiert, denn er starb jung mit nur 65 Jahren.

NEWS: Sie haben auch den größten Respekt für Carl Barks, der die Duck-Familie für Disney gezeichnet hat. Welchen Einfluss hatten Donald Duck und die frühen Disney Figuren auf Ihr künstlerisches Schaffen?

GOTTFRIED HELNWEIN: Carl Barks war meiner Meinung nach der wichtigste Disney-Künstler. Für uns Kinder der Nachkriegsgeneration war Barksens Donald ein Heiland. Wien war damals ein wirklich trostloser Ort, und in meinen frühen Kindheitstagen fühlte ich mich wie in einem schlechten Stummfilm, der noch dazu in Zeitlupe ablief.

- Und als ich eines Tages ein Micky Maus Heft öffnete, und zum ersten mal Entenhausener Boden betrat, war das wie der Eintritt in ein neues magisches Universum, das dreidimensional und farbig war, und eine unglaubliche Dynamik hatte.

Ich habe den Eindruck, dass es für viele meiner Generation ähnlich war: Für Manfred Deix und Elfriede Jellinek, die übrigens ein wunderbares Essay über Ahörnchen und Behörnchen geschrieben hat, oder HC Artmann, von dem die Bemekung stammt: "Der einzige Mensch der uns heute noch etwas zu sagen hat ist Donald Duck". Aber auch Robert Crumb, Steven Spielberg und George Lucas haben von Disney und Barks gelern.

Irgenwann, in den 80er Jahren, hatte ich beschlossen das Werk von Carl Barks ins Museum zu bringen, um den Leuten anhand von originalen Skizzen und Zeichnungen die Qualität dieser erstaunlichen Kunst vor Augen zu führen und ihm noch zu Lebzeiten die notwendige Würdigung zukommen zu lassen. - Es wurde eine Museums-Tour die durch 10 Museen führte. Für nächstes Jahr habe ich in Zusammenarbeit mit Manfred Deix noch eine letzte grosse Ausstellung zu diesem Thema im Karikaturmuseum in Krems geplant, die auch zeigen soll, welche Auswirkungen dieses Werk auf andere Kreative hatte.

NEWS: War Donald Duck, der einen reichen Onkel hatte und in der Welt herumreisen durfte, ein Idol für Sie?

GOTTFRIED HELNWEIN: War? - Donald verkörpert für mich auch heute noch das ideale Menschenbild. Er ist die Ankündigung und Ahnung einer neuen Zeit. Er ist nicht mehr Abbild der sogenannten Realität sondern Schöpfung im eigentlichen Sinn des Wortes: Eine Creatio ex nihilo.
Seine Form ist aus dem idealen geometrischen Prinzip, der Kugel, abgleitet.

Es gibt keine Ecken und Kanten, alles an Donald ist rund und weich und fließend. Und obwohl er gar nicht aussieht wie ein Mensch, sondern ehen an eine Ente erinnert, verkörpert er das Menschliche doch mehr als alle Werke der bildenden Kunst vor ihm. Was ist an der Mona Lisa denn menschlich? Sie erinnert zwar äußerlich an eine weibliche Gestalt, aber bei aller malerischen Qualität hat sie doch sehr wenig mit einem wirklichen Menschen zu tun.

Es ist erstaunlich, daß dieser kleine künstliche Erpel ein soviel besserer Spiegel der menschlichen Seele ist. Und das Verblüffende ist, dass er eigentlich nur aus einer schwarzen Linie besteht. Ein völlig minimalistisches Kunstwerk. Mehr Abstraktion und Reduzierung ist eigentlich kaum möglich.

NEWS: Sie haben eine schwarz-weiße Micky Maus mit den Zügen von Schock-Rocker Marilyn Manson gemalt, die eine Ikone der Popkunst ist. Wieso ist Ihr Micky so gar nicht lustig?

GOTTFRIED HELNWEIN: Micky ist ja keine reale Person, wie Donald, sondern eher ein Symbol, das für das Amerikanische Jahrhundert stehen könnte, und als solches ist er in vielen Kunstwerken als Paraphrase verwendet worden. Aber Amerika hat die Unschuld der 50er Jahre verloren, und der Traum hat sich inzwischen in einen Alptraum verwandelt, und das sieht man unserer "Manson-Mickey" auch an. Sie steht für eine andere Zeit.

Amerika ist derzeit fest in den Händen Christlicher Fundamentalisten und erbarmungsloser Saubermänner, sodass diese Gesellschaft bei so viel Christentum und Gutheit in der Kunst offensichtlich einen Gegenspieler einen "Antichristen" braucht, jemand der als Ausgleich das "Böse" verkörpert. Und Manson spielt genau diese Rolle.

NEWS: Wie kommt es, dass der deutschsprachige Raum der größte Disney-Konsument außerhalb Amerikas ist?

GOTTFRIED HELNWEIN: Die Deutschen sind als Kultur- und Semi-Kulturkonsumenten Weltmeister. Warum Donald Duck in Amerika nie so erfolgreich geworden ist wie in Europa liegt vor allem daran, dass er in seiner Heimat in den 50er Jahren gegen eine Phalanx von stiernackigen Super-Helden antreten musste, - Muskelberge, die in enge bunte Kostüme gezwängt waren und über flatternde Capes und sagenhafte Super-Kräfte verfügten.

Donald war ja genau das Gegenteil davon; - Er hat ganz schmale Schultern, dünne Ärmchen und Beine, ist schneeweiß, geht unten auseinander und hat einen kugelförmigen Hintern und Bauch. Für die sportlichen sieggewohnten Amerikaner ein unerträglicher Anblick. Wir Nachkriegskindert in Europa konnten uns aber sehr gut mit diesem Antihelden und Verlierer identifizieren. Dazu kam noch ein Aspekt, den man häufig übersieht: Im Gegensatz zu den aufwändigen Zeichentrickfilmen, waren die Comic-books, die in Amerika gedruckt wurden, Billigware, schlampig mit grobem Raster auf schlechtes Papier gedruckt.

Da es bei uns diese Comic-Tradition nicht gab, wurden die Geschichten von klassisch ausgebildeten Illustratoren aufwändig Koleriert und auf gutem Papier im edlen Tiefdruckverfahren gedruckt. Dazu kam noch, dass man in dieser Sternstunde der abendländischen Kultur die Kunsthistorikerin Erika Fuchs mit der Übersetzung der Texte betraute. Sie hat dem Werk mit ihrerer Sprachkunst noch eine zusätzliche Dimension gegeben. Sie taufte "Uncle Scrooge" auf "Onkel Dagobert" um, nach dem legendären, sagenhaft reichen Merowingerkönig Dagobert. Sie erfand auch "Daniel Düsentrieb" , "Tick Trick und Track" und all die anderen Namen der Entenhausner Helden und wir verdanken ihr unvergessliche Zeilen wie: "Was ficht Dich an, Schnurrli?", "Gefährlich ist’s den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn!" oder "dem Ingeniör ist nichts zu schwör".